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Interview des Literaturkritikers Walther Stonet mit Alexander Günsberg, Autor und Verleger ABER VERLAG, 1. August 2020

 

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Sehr geehrter Herr Günsberg,

 

Sie haben bereits ein langes und ereignisreiches Leben hinter sich, wie man nachlesen kann. Ihre Biografie auf Wikipedia liest sich selbst wie ein echtes Abenteuer. 

Frage 1: Wie geht es Ihnen gerade? Was treibt Sie an?

Die Antwort wird Sie vielleicht erstaunen. Es geht mir besser denn je. Ich – oder genauer gesagt wir – meine Frau, meine Kinder, aber auch Mitarbeiter und Freunde, die mit uns am selben Strang ziehen, wenn ich das so ausdrücken darf, haben die Coronakrise als Chance gesehen und ich glaube, auch genutzt, Neues zu begründen und Dinge zu tun, zu denen wir ohne die Monate der Quarantäne weder Zeit noch den Antrieb gefunden hätten. Ich muss aber zugeben, dass wir uns in einer privilegierten Lage befunden haben, denn als die Quarantäne von den Behörden verordnet wurde, befanden wir uns in unserem Ferienhaus in den Walliser Bergen. Bei Sonne und Bergluft auf einer Terrasse vor dem Alpenpanorama der Viertausender vom Mont Blanc bis zum Matterhorn kommt man eher ins Schwärmen und ins Pläneschmieden als in den Häuserschluchten der Stadt. Im Gegensatz zu dem, was viele glauben, braucht man kein Büro, um einen Verlag zu gründen, nur Ideen, Arbeit und Menschen, die mitmachen. Wenn so bekannte und fähige Leute wie Edita Koch, Myriam Halberstam, Roman Grinberg, Dr. Elvira Grözinger, Dr. Werner Abel, Slobodan Despot, Dr. Thomas Fasbender, Gerhard Haase-Hindenberg, Dotschy Reinhard, Gabriela Tscherniak und viele andere auf erste Anfrage hin sofort bereit sind, in die Jury des ABER-Literaturwettbewerbs Einsitz zu nehmen und den neuen Verlag zu unterstützen, so gibt einem das Mut und Zuversicht für die Zukunft. Zudem geben uns heute Computer, Handy, Wikipedia, WhatsApp, Grafiktools und Facebook Möglichkeiten in die Hand, von denen wir noch vor wenigen Jahrzehnten nicht einmal geträumt haben. Die Welt kommt heute zu uns in Haus. Wir müssen nicht mehr nach Amerika fahren, um New York zu sehen. Wir müssen nicht mehr in Bibliotheken Bücher zum Nachschlagen suchen. Wir müssen kein Rendez-vous mehr mit Autoren vereinbaren. Alles geht in Windeseile am Bildschirm. Man kann die Technik ablehnen und verdammen, besser aber ist es, sie sich zu Nutze zu machen. Nur wer es schafft, sich nicht von ihr beherrschen zu lassen, sondern sie zu beherrschen, hat ihren Sinn verstanden. 

 

Wir teilen die Fragenkomplexe ein wenig auf, ist das in Ordnung so? Beginnen wir mit Ihrer Verlagsgründung. 

Frage 2: Was war der Grund, den ABER Verlag zu gründen und nach Ihrem reichen Leben noch einmal ins Geschirr des Unternehmers und in eine völlig neue Rolle zu schlüpfen?

Wie Ihre Frage impliziert, sind neue Rollen für mich fast schon Gewohnheitssache. Aber im Ernst, als Autor gleicht man dem Regisseur im Film, als Verleger wird man zum Produzenten. Die meisten Regisseure, zumindest die, die ich kenne, sind heute Produzenten geworden. Als Regisseur oder Autor lebt man unter der Fuchtel des Produzenten und Verlegers und hängt von ihnen ab. Es genügt in der Zeit rapide abnehmender Leserzahlen nicht mehr, ein gutes Buch zu schreiben, man muss es auch vermarkten. Zwei Köche verderben dabei oft den Brei, weil jeder andere Interessen hat. Als Verleger und Autor in einer Person – wenn man es sich leisten kann und auf gute Mitarbeiter zählen kann, egal ob sie intern oder extern sind, gewinnt man die Freiheit, das zu tun, was man will. Sie wissen ja, man nennt das schöpferische Freiheit.

 

Frage 3: Nach welchen Kriterien wählen Sie Manuskripte aus, die Sie verlegen? Was sollte man/frau als Autor/in mindestens beachten?

In der kurzen Zeit seit der Gründung des ABER-Verlags haben wir bereits gegen 200 Manuskriptangebote bekommen. Nur 2 haben wir angenommen, eine Putin-Biografie eines der besten Putin-Kenners überhaupt, der 27 Jahre in Moskau in enger Verbindung mit ihm gelebt hat und ein Buch über die Welt von morgen, das sie ganz anders sieht, als die meisten sie sich denken. Dazu werden wir die Werke eines bekannten französisch-serbischen Politologen und Philosophen auf Deutsch herausbringen, natürlich meinen eigenen belletristischen und  historischen Bücher und wunderbare Kunstbände von Alexander Pavlenko und Astrid Saalmann. Wir sind ein kleiner, aber hoffentlich feiner Verlag und wollen nicht möglichst viele, sondern möglichst gute und interessante Bücher publizieren. Die meisten Autoren schreiben am Publikum vorbei. Wen interessiert schon, was Feministinnen oder Machos denken? Wer will hören, was Fritz Meier und Hans Müller am Arbeitsplatz machen oder worüber Dorothée Tunichtgut und Else Putzteufel im Café quatschen? Wenn ich schon auf der ersten Seite lese, der Chef wäre ein toller Typ, den sich die Sekretärin angeln will, man solle gegen Trump oder Merkel auf die Barrikaden gehen oder der Ausflug in den Schwarzwald wäre wieder einmal langweilig gewesen, frage ich mich, was in den Köpfen solcher Möchtegern-Autoren vorgeht. Meine Tipps an alle, die Schriftsteller werden wollen: Erstens: Schreiben Sie je dreißig Seiten Hemingway, Gogol und Dürrenmatt ab, bevor Sie sich ans Selbstfabulieren machen. Zweitens: Wählen Sie ein Thema, das viele Menschen interessiert und schreiben spannend und mitreißend. Drittens: Vermeiden Sie Stilexperimente und schreiben einfach und verständlich. Lange verschachtelte Sätze, endlose Aneinanderreihungen von Adjektiven und Adverbien sind passé. In der Literatur besteht die Kunst heute darin, Schönheit und Poesie mit wenigen Pinselstrichen zu erzeugen. Das heißt nicht, Dinge und Zusammenhänge zu vereinfachen, sondern sie verständlich zu machen, ohne belehrend zu wirken und dabei der Fantasie des Lesers Raum zu lassen. 

 

Frage 4: Diese Frage ist sehr strittig. Dennoch sei sie hier gestellt: Kann gut Schreiben gelernt werden? Wie macht man/frau das am besten?

Meiner Meinung nach ja bis zu einem gewissen Grad, aber nur, wenn man bestimmte Voraussetzungen mitbringt. Dazu gehört die Kenntnis der Sprache und ihrer Regeln, die Fähigkeit, sich verständlich und doch differenziert auszudrücken, das Talent, zu erkennen, ob ein Satz schön oder hässlich ist und die Gabe der Fantasie. Ein Schriftsteller erschafft eine Welt. Wenn er sie nicht vor seinem geistigen Auge sieht, geht das nicht. Bringt man diese Voraussetzungen mit, so kann man seinen Schreibstil durch Lernen verbessern. Abschreiben von Texten großer Meister, wie ich sie vorher genannt habe, ist dabei das wahrscheinlich beste Mittel. Um aber selbst zum Großmeister der Literatur zu werden, braucht man den Kuss der Muse. Wem sie ihn schenkt, bestimmt sie allein.

 

Frage 5: Was waren aus Ihrer Sicht die kritischen Erfolgsfaktoren für Ihren Verlag? Was werden Sie anders machen als Ihre zahlreichen Marktbegleiter? Welche Wünsche bleiben aktuell offen, weil die Zeit ihnen dabei im Weg steht?

Ja, die Zeit, dieses stets zum Todesbiss bereite Ungeheuer. Wenn man so alt ist wie ich und noch tausend Dinge vorhat, ist sie der größte Feind, den man hat. Mein größter Wunsch ist die Verfilmung meiner drei großen Romane DIE AKTE EISENSTADT, TANZ DER VEXIERE und MISCHA TUROW. Der Erstgenannte, der zwischen 1939 und 2005 in Frankreich, Deutschland, Österreich und Israel spielt und drei Generationen beschreibt, die die Hölle, aber auch den Himmel auf Erden erleben, hatte ich 2005 als Filmsynopsis für eine französische Produktionsfirma geschrieben, die die notwendigen Finanzen nicht aufbrachte. Seither sind 15 Jahre vergangen, in denen mir alle möglichen Leute ähnliche Angebote gemacht haben. Gerade in den letzten Tagen aber habe ich zwei ernstzunehmende Vorschläge erhalten, lustigerweise einen aus Russland und einen aus den USA. Zufall oder Weltpolitik, wer weiß das schon? Wenn alles klappt, unterschreibe ich in Kürze den ersten Vertrag. Die beiden anderen sollten dann rasch folgen. Ein bellender Hund lockt andere an. An Spannung werden die drei Filme jedenfalls nichts zu wünschen übrig lassen. Der TANZ DER VEXIERE ähnelt INDIANA JONES und MISCHA TUROW ist das weibliche Pendant zu Hannibal Lector im SCHWEIGEN DER LÄMMER. Mehr will ich nicht vorwegnehmen. Wen’s jetzt schon interessiert, der kann ja die Bücher lesen. Auf Ihre Frage, was wir im ABER Verlag anders als andere Verlage machen wollen, kann ich nur antworten: Alles und nichts. Ich hoffe, Sie verstehen, was ich damit meine. 

 

Frage 6: Welche Bedeutung hat die Ausschreibung des ABER Verlags für Sie und die literarische Welt im deutschsprachigen Raum? Was wollen Sie mit Ihr erreichen?

Wenn Sie damit den ABER-Literaturpreis ansprechen, den wir geschaffen haben, so ist er 2020 als Kurzgeschichtenwettbewerb zum Thema ‚aber‘ ausgeschrieben. Auch da haben wir bereits weit über 100 Beiträge erhalten, auch von bekannten und arrivierten Autoren. Leider konnten viele nicht in den Wettbewerb aufgenommen werden, weil entweder das Thema verfehlt oder der vorgeschriebene Umfang von 5.000 bis 10.000 Wörtern nicht eingehalten wurde. Die zehn besten Geschichten werden ja in einem Band veröffentlicht, der mehr als ein dickes Heft sein soll. Zudem sollen sich die Autoren Mühe geben, das Thema in eine spannenden Geschichte zu verpacken und ausführlich zu beschreiben. Zwei, in wenigen Minuten verfassten Absätze von nur 238 Wörtern, wie wir sie auch erhalten haben, genügen nicht, um einen Literaturpreisträger und künftigen Autor des ABER Verlags zu küren. Bis zum Einsendeschluss 30.11.2020 bleibt genug Zeit für hoffentlich zahlreiche neue Einsendungen. Das Thema ‚aber‘ lässt viele Interpretationen zu. Gedacht war, gegen die Relativierung de Bösen anzugehen, wofür wir auch den Namen unseres Verlags gewählt haben, doch wurden auch andere interessante Deutungen eingesandt. Vorgestellt werden die zehn Siegergeschichten an der Leipziger Buchmesse in März nächsten Jahres – sofern Corona keinen Strich durch die Rechnung macht. 

 

Fragen an den Autor Alex Günsberg 

Frage 7: Sie haben 2016 entschieden, wieder Autor zu sein. Ihre ersten Werke erschienen im Selbstverlag. Wie haben Sie Ihren ersten Verlagsvertrag erlebt? Wie geht es für den Autor Alex Günsberg weiter? Wie meistern Sie den Spagat zwischen Autorenschaft und Verlagsleitung?

Zu schreiben begonnen habe ich schon viel früher, dann das Schreiben aber zur Ernährung meiner sechs Kinder aus fünf Ehen während über vier Jahrzehnten unterbrochen. Schon als Gymnasiast und Student war ich Chefredaktor zweier Zeitschriften und habe auch für andere Zeitungen geschrieben. 1974 habe ich den Literaturpreis des Kantons Baselland für die Kurzgeschichte ‘Aufstieg‘ gewonnen, die im Band AUSGEZEICHNETE GESCHICHTEN publiziert wurde. Wie Sie richtig bemerken, habe ich 2016 wieder zu schreiben begonnen. Die ersten Bücher erschienen im Selbstverlag bei Tredition, bis andere Verlage auf mich aufmerksam wurden (Hentrich und Hentrich, Münster, Adelaide). Seit der Gründung des ABER VERLAGS komme ich allerdings nur noch sehr wenig zum Schreiben, Der Nachtschlaf ist auf maximal 4 Stunden reduziert, da ich zudem noch eine Firma und einen großen Schachclub leiten und mich nicht zuletzt meiner Familie widmen muss.

 

Frage 8: Was schlagen Sie jungen und unbekannteren Autor*innen vor, wie sie vorgehen sollen, um Erfolg zu haben? Ist eine Literaturagentur zu empfehlen? Wenn ja, welche Agenturen würden Sie vorschlagen?

Für neue Autoren sind Literaturagenten nicht leichter zu finden als Verlage. Manuskripte einsenden führt in den seltensten Fällen zum Erfolg. Jeder Verlag scheut das finanzielle Risiko mit einem neuen und unbekannten Autor. Die Leute kaufen Namen, nicht Bücher. Von Handke wird alles gelesen, von Müller nichts. Ich empfehle talentierten jungen Autoren die Teilnahme an Literaturwettbewerben und den Besuch von Buchmessen. Allerdings muss man da seinen Mund aufmachen und darf sich nicht scheuen, ohne Rendez-vous die richtigen Leute anzusprechen. Wer sich abwimmeln lässt, ist selber schuld. Chuzpe ist das Zauberwort.

 

 

Frage 9: Wie sind Sie zum Schreiben gekommen? Wann gab es die ersten Gehversuche? Welche Themen haben Sie damals bearbeitet? Wann ist die Idee gereift, Ihr Schaffen „öffentlich“ zu machen, also der Kritik auszusetzen?

Reden und schreiben gehören seit jeher zu meinem Wesen. Schon als Achtjähriger im Internat in Wien musste ich meinen Zimmergenossen nachts nach dem Lichterlöschen Geschichten erzählen. Als ich mich einmal aus Müdigkeit weigerte, setzte es Schläge ab. Als Vierzehnjähriger wurde ich dann zum Chefredaktor der Zeitschrift eines Jugendbundes gewählt und später als Student im ersten Semester zum Leiter der Uni-Zeitschrift. Damit kam ich automatisch in die Öffentlichkeit. Man wird ins Wasser geworfen und muss schwimmen. Aber wie gesagt, Talent und Freude muss man mitbringen. Sonst geht man im Wasser unter.

 

Frage 10: Wenn Sie die letzten Jahre seit 2016 Revue passieren lasst, was waren die herausragenden Ergebnisse und Ereignisse für Sie als Autorin? Wie wirken Leben, Gegenwart, Tagesarbeit, Präsentationsform und Text aufeinander?

Herausragend war sicher der Moment, als mich auf der Frankfurter Buchmesse 2018 ein US-Verleger ansprach und mich fragte, ob er meine Bücher auf Englisch, Russisch, Spanisch und Portugiesisch herausbringen dürfe. Das ist ungefähr so wie ein Haupttreffer im Lotto, zumal es für einen neuen europäischen Autor, der nicht auf Englisch schreibt, praktisch unmöglich ist, bei einem US-Verlag unterzukommen. Aber auch die beiden Anrufe in den letzten Tagen, bei denen mir nach 15 Jahren vergeblicher Mühe endlich seriöse Vorschläge zur Verfilmung der AKTE EISENSTADT gemacht wurden, waren ‘Aufsteller‘, wie man in der Schweiz sagt. Ich bin ja einer der Wenigen, die Wienerisch und Schwyzerdütsch akzentfrei sprechen, auch das ein Ergebnis meiner Weltenbummelei, die schon in Kindheitstagen begonnen hat.

 

Frage 11: In welche Richtung wird sich aus Ihrer Sicht die deutschsprachige Gegenwarts-literatur entwickeln? Wo will die Autorin selbst in zwei bis drei Jahren sein? Wie betrachten Sie die Ist-Situation, dass in den Buchhandlungen keine Lyrik und kaum Kurzgeschichten mehr präsentiert werden und dass auf den deutschsprachigen Bestsellerlisten die Zweitverwertung ausländischer Bestseller dominiert? Würden Sie die Forderung nach einer Bestsellerliste für Lyrik und Kurzgeschichten unterstützen?

Das Schreiben hat sich verändert. Goethe und Thomas Mann würden heute kaum noch einen Verlag finden, und die Themen gehen mit der Zeit. Literatur ist nicht unpolitisch. Was mir an der gegenwärtigen Entwicklung nicht gefällt, ist der Hang zum literarischen Sachbuch, wie ich es nenne. Wenn man für die Beschreibung der EU-Bürokratie den deutschen Buchpreis erhält, ist das für mich so, als würde ein Nobelpreis für Buchhaltung vergeben. Nichts gegen Robert Menasse, er ist ein begabter Schriftsteller und zudem hat sein Vater mit meinem Vater in Wien Fußball gespielt, aber wer wird in dreißig Jahren so ein Buch noch lesen? Ein gutes Buch ist für mich eines, das morgen zum Klassiker wird und noch in zwei- oder dreihundert Jahren Käufer findet. Bestsellerlisten sind Werbeinstrumente. Kaufen Sie ein paar Hundert von Ihren eigenen Büchern, dann kommen Sie auf die Bestsellerlisten. Kluge Leser richten sich nicht nach Bestsellerlisten, sondern schmökern in Buchhandlungen und kaufen die Bücher, bei denen sie nach den ersten Seiten weiterlesen wollen. Lyrik und Kurzgeschichten sind zu Massenware verkommen. Jeder Möchtegern-Autor schreibt Lyrik und Kurzgeschichten, weil es viel einfacher ist und viel schneller geht als einen Roman zu schreiben. Man sollte nur Lyrik und Kurzgeschichten von Autoren lesen, deren Werke man liebt oder sich auf Wettbewerbssieger beschränken. Der Rest ist zum allergrößten Teil ‘Müll’, um es diesmal auf Norddeutsch zu sagen. 

 

Frage 12: Was unterscheidet die Literaturförderung in der Schweiz von der in Deutschland und Österreich sowie anderer europäischer Staaten? Wie stellen sich für Sie Indi-Szene und die offizielle Literatur-Preis-Szene zueinander dar? Aus welchen Quellen werden die stärksten Impulse für die deutschsprachige Literatur in Zukunft kommen?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die staatliche Literatursubvention, zumindest in der Schweiz, mit so viel Bürokratie und Papierkram verbunden ist, dass wir darauf verzichtet haben. Wenn wir eine Mitarbeiterin nur für die Formalitäten zum Erhalt von Subventionen anstellen müssen, kostet uns die Sache mehr als sie uns bringt. Verstehen Sie mich nicht falsch: ich bin keineswegs gegen Literaturförderung, nur sollte sie vereinfacht und entstaubt werden. Impulse für die Literatur kommen aber nicht von Subventionen, sondern von umtriebigen Verlagen, von guten Autoren, von Literaturbeilagen in Zeitschriften, von Literaturwettbewerben, Lesungen und Literaturveranstaltungen und Anreizen in Schulen und Universitäten.

 

Frage 13: Ist aus Ihrer Sicht der eBook-basierte Selbstverlag überhaupt eine Alternative zum Verlagsbuch? Wie beurteilen Sie die „Nachwuchs- und Talentförderung“ und die Autorenbetreuung der deutschsprachigen Verlage? Sieht das aus Diener Erfahrung in anderen Kulturkreisen anders aus, und könnten / sollten die deutschsprachigen Verlage daraus lernen?

Der Trend zum e-book ist (leider) weder aufzuhalten noch umzukehren. Der große Absahner dabei heißt Jeff Bezos. Dem Mann gebührt der Nobelpreis für Schwerverbrechen. Seine Erfindung Amazon ist ein Stellenvernichter, der verboten gehört. Schauen Sie sich nur Kindle KPD an. Jeder kann Bücher lesen, KPD kassiert die Abo-Gebühren und die Autoren bekommen zweimal nichts. Das geht bei Amazon nicht nur mit Büchern so. Die Kommission beträgt oft ein Vielfaches des Wertes eines Artikels und dessen, was der wirkliche Lieferant und Verkäufer verdient. Als Leser kann ich persönlich einem e-book nichts abgewinnen. Ein Buch zu lesen, das man in Händen hält, das in der eigenen Bibliothek steht, das man jederzeit wieder hervorholen kann, auch nach vielen Jahren noch, das einen im Alter an die Jugend erinnert, das man seinen Kindern und Kindeskindern weitergeben kann, ist doch etwas ganz anderes als einen Text in einer Maschine zu lesen. Ich vergleiche das mit einer Sexpuppe. Meine Sache ist sie nicht, aber da gehöre ich wahrscheinlich zum alten Eisen. Nachwuchs- und Talentförderung bringen meiner Meinung auch nur wenig, ebenso wie die Orientierung an dem, was in anderen Kulturkreisen geschieht. Gut schreiben ist eine Gabe. Wer sie hat, kann sie verbessern und wird sich durchsetzen. Wer sie nicht hat, bei dem nützt alle Förderung nichts. Es ist ganz normal, dass 95 Prozent der Schreibenden zur zweiten Kategorie gehören. Das ist nicht anders als auf allen anderen Gebieten. Ski fahren alle, Rennen aber gewinnen nur wenige. Als Schachclubpräsident und Hobbyschachspieler hat mich ein Reporter einmal gefragt, was ich besser könne – Schach spielen oder schreiben. Ich antwortete ihm, wenn ich so schlecht schreiben würde wie ich Schach spiele, würde ich niemandem zumuten, meine Bücher zu lesen. 

 

Zugetextet.com dankt für das interessante Gespräch! Wir wünschen Ihnen für den Verlag viel Erfolg und weiterhin Gesundheit und Schaffenskraft!

 

 

literaturblatt.ch

 

Buchempfehlungen und mehr
von Gallus Frei-Tomiv

„Schreiben wie ein Grossmeister“
ein Gastinterview von Urs Heinz Aerni
mit Alexander Günsberg zu seinem Roman „Tanz der Vexiere“

Urs Heinz AerniEiner Ihrer Romane lautet „Tanz der Vexiere“. Der Begriff Vexiere kann mit „plagen“ und „quälen“ übersetzt werden und sind heute als Geduldsspiele bekannt, bei denen entwirrt und wieder zusammengesetzt werden kann. Könnte das auch etwas mit Ihrer Art des Schreibens zu tun haben?

Alexander Günsberg: Der Roman erzählt, wie Spiegel Menschen verändern können. Ein Vexierspiegel verändert das Äussere. Im Inneren entstehen Vexiere, Abbilder des eigenen Ichs.

AerniAlso eine Erweiterung der Bedeutung…

Günsberg: Der Begriff stammt von mir. Mit ‚plagen‘ oder ‚quälen‘ hat er nichts zu tun. Auch beim Schreiben plage ich mich nicht, sondern ringe um die besten Formulierungen, einen logischen Aufbau und eine packende Handlung. Das Schlimmste finde ich langweilige Bücher. Die Ideen, die meine Romane vermitteln, stehen zwischen den Zeilen einer Handlung, die so spannend ist, dass der Leser das Buch nicht aus der Hand legen kann, bis er am Ende angekommen ist. Das ist jedenfalls mein Ziel.

AerniIm besagten Roman ist der Schreinergeselle Alfred Kohnitz die tragende Figur mit einem Schicksal zwischen Einsamkeit und Sehnsucht und Suizidversuch und Abenteuerreise. Wie sind Sie auf diesen Alfred gestoßen?

Günsberg: Der Roman erzählt von einem Mann, der in Lebensangst und Minderwertigkeitskomplexen gefangen ist, sich durch das Erkennen seiner selbst zu einem neuen Menschen wandelt und eine Frau findet. Wunderschön ist der Moment, an dem sie auf einem kleinen Boot im Ozean auf die Wellen hinausblicken und im Glitzern der Sterne ihre Vexiere auf dem Wasser tanzen sehen. Deswegen habe ich den Roman ‚Tanz der Vexiere‘ genannt.

AerniAlso kein verstecktes Spiel mit dem Namen des Protagonisten?

Günsberg: Nein, der Name Alfred Kohnitz ist unbedeutend. Ich hätte ihn genauso gut Heiri Hess nennen können. Namen sind nichts. Das was wir mit Ihnen verbinden, ist alles. Nehmen Sie zum Beispiel den Mädchennamen Chantal. Ich habe in meiner Jugend eine Chantal gekannt, die war die ärgste Ausgeburt des weiblichen Geschlechts, geifernd, rachsüchtig, dumm und eingebildet. Da war der Name Chantal für mich der hässlichste, den es gab.

AerniStarker Tobak

Günsberg: Später bin ich dann einer Chantal begegnet, die das herrlichste Geschöpf der Welt war und plötzlich bekam der Name die gegenteilige Bedeutung!

AerniMan kommt nicht umhin, bei der Lektüre auf den Verdacht zu kommen, dass Sie ein Freund der Harmonie und des guten Endes sein könnten. Ist dem so?

Günsberg: Nein. Das ist nur in diesem Roman so. Ich habe viele andere Geschichten geschrieben, die kein gutes Ende im landläufigen Sinn haben. Eine gute Geschichte muss auch eine sein, die sich in der Wirklichkeit so abgespielt haben kann, wie sie im Roman erzählt wird. Der „Tanz der Vexiere“ schildert die positive Entwicklung von Menschen durch das Erkennen ihrer Vexiere, vereinfacht gesagt vom Minus zum Plus. Deswegen muss diese Geschichte ein gutes Ende haben, wenn auch nicht für alle Personen, die in ihr vorkommen. Bei denen, die ihre Vexiere nicht erkennen, die nur in der Aussenwelt leben, ist das Ende gar nicht gut.

AerniDie beträchtliche Anzahl Ihrer Werke macht deutlich, wie intensiv das Schreiben Ihr Leben begleitet. Aber Sie frönen auch dem Schachspiel. Was war denn zuerst da?

Günsberg: Schach habe ich mit sechs von meinem Vater gelernt. Zu lesen habe ich mit drei begonnen. Zu schreiben, mehr als man in der Schule so dahinkritzelt, mit sieben oder acht. Als Kind habe ich Gedichte geschrieben. Meine Lehrerin in Wien nannte mich ironisch ‚unseren Dichter‘. Im Internat, in das ich mit zehn kam, musste ich als jüngster und schwächster im Sechser-Zimmer jeden Abend den anderen eine Geschichte erzählen. Falls nicht, drohten mir Schläge. Es war eine Zeit, in der es weder Fernsehen noch Internet gab. So blieb mir nichts anderes übrig, als zu erzählen und zu erzählen, jeden Abend. Irgendwann habe ich dann begonnen, die Geschichten aufzuschreiben, die ich erzählt habe.

AerniHand auf’s Herz, wo sehen Sie sich selber talentierter, bei den Schachzügen oder beim Sätzemeisseln?

Günsberg: Ich hoffe sehr, beim Schreiben. Schach ist eine Leidenschaft, die man auf jedem Niveau betreiben kann. Schreiben aber sollte man nur, wenn man es so kann, wie ein Grossmeister Schach spielt. Anderes dem Leser vorzusetzen, halte ich für eine Zumutung.

Aerni: Sie sind Sohn jüdischer Holocaust-Überlebender, verbrachten die Jugend in Mailand, Wien und Zürich, sind fünfmal verheiratet und leben und schreiben heute im Wallis. Wer wird Ihr Leben aufzeichnen?

Günsberg: Der liebe Gott, wenn er sich überhaupt an alles erinnert.

Aerni: Sie schreiben Romane, Kurzgeschichten und auch Bücher für Kinder. Wie nehmen Sie den Puls des aktuellen gesellschaftlichen und politischen Zeitgeistes wahr? Was ärgert Sie gerade?

Günsberg: Vieles ärgert, vieles freut mich aber auch. Zu den Ärgernissen gehört der Hang der Menschen, rechts- oder linksextremen Parolen Glauben zu schenken, der zunehmende Antisemitismus, die Propaganda, die die Palästinenser als Opfer hinstellt, obwohl sie Israel vernichten wollen und nicht umgekehrt, die Übersozialisierung der Schweiz, die Eigeninitiative und Unternehmergeist bremst, unabdingbare Voraussetzungen für die Weiterentwicklung unseres Landes nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf kulturellem Gebiet.

Aerni: Und das Gute?

Günsberg: Zu den erfreulichen Dingen gehören die ins Bewusstsein der Menschen gedrungene Erkenntnis, dass die Natur geschützt werden muss und die enormen Fortschritte der Medizin, die dem Leben auch noch in fortgeschrittenen Jahren einen jugendlichen Anstrich geben. Bei mir kommen natürlich meine junge Ehefrau und meine beiden letzten Kinder dazu, die 7 und 14 sind. Sie können keinen ‚alten‘ Papa gebrauchen!

Aerni: Beschreiben Sie uns Ihren Lieblingsschreibort?

Günsberg: Die Terrasse meiner Heime im Wallis und am Zürichsee und des Hotels am Meer in Italien, auf der ich vor rund vier Jahren nach jahrzehntelanger, berufsbedingter Abstinenz wieder zu schreiben begonnen habe. Manchmal nehme ich den Laptop aber auch an ganz Orte mit und schreibe, etwa auf der Bergstation einer Seilbahn oder im Schachclub, wenn ich meine Partie beendet habe und auf die anderen warten muss. Es gibt wenig Orte, die sich zum Schreiben nicht eignen. Nur zu laut darf es nicht sein und man sollte nicht dauernd gestört werden.

Aerni: Die Buchbranche leidet unter dem Druck der Digitalisierung und der Veränderung im allgemeinen Leseverhalten. Was hält Sie am Schreiben?

Günsberg: Leidenschaft, wie beim Schachspielen, nur dass ich es hoffentlich besser kann. Ich kümmere mich nicht ums Leseverhalten. Das ist etwas für Verleger und Soziologen. Ich konzentriere mich aufs Schreiben und will Geschichten produzieren, die nicht nur mir gefallen, sondern die Menschen wieder fürs Lesen begeistern. Nehmen Sie jeden anderen, auch viel profaneren Artikel. Wer kauft ein schlecht geschnittenes Kleid oder ein pannenanfälliges Auto? Warum also sollten die Menschen ausgerechnet ein schlecht geschriebenes Buch kaufen? Der Schriftsteller sollte sich nicht mit dem Leseverhalten beschäftigen, sondern sich darauf konzentrieren, gute Bücher zu schreiben. Die werden dann automatisch gelesen.

Aerni: Falls das Buch zum Lesenden findet…

Günsberg: Richtig, denn das Problem ist, sie bekanntzumachen, aber das ist eine andere Sache.

Aerni: Wenn ich ein Bild malen würde, mit einem lesenden Menschen mit Ihrem Buch in den Händen, wie müsste dieses aussehen?

Günsberg: Am liebsten hätte ich ein Bild, wie Brueghel sie gemalt hat, mit Szenen, in denen die Menschen spielen, lachen, singen, tanzen, arbeiten, sich lieben und eben auch Bücher lesen. Wenn eines von mir dabei ist, würde es mich und wahrscheinlich auch die Leser glücklich machen. Glück ist nicht nur Zufall oder Schicksal. Als Leseratte, wie ich Sie einschätze, kennen sie sicher auch das Glück, das einem eine liebende Frau, ein gutes Glas Wein mit Freunden oder ein spannender und gehaltvoller Roman bringen kann.

Aerni: Hätten Sie uns ein Beispiel?

Günsberg: Ich erinnere mich an meine Jugend, als ich in die Romane von C.S. Forester und Erich Maria Remarque versunken, ganze Nachmittage auf einer Parkbank gesessen bin und in einer anderen Welt war. Ist das nicht Glück, das man erlebt?

Alexander Günsberg wurde 1952 in Mailand als Sohn jüdischer Emigranten aus Wien und Ungarn geboren. Die Kindheit verbrachte er in Italien, Wien und Zürich. Neben und nach dem Studium der Geschichte, Psychologie und Germanistik und fünf Heiraten bereiste er die Welt und betätigte sich als Journalist, Skilehrer, Schachspieler, Autofahrlehrer, Gymnasiallehrer, Schmuckgrosshändler und Immobilienpromotor in den USA und in der Schweiz. 1974 erhielt er für die Erzählung „Aufstieg“ den Literaturpreis des Kantons Baselland. Heute lebt er mit seiner Familie im Wallis und der erwähnte Roman „Tanz der Vexiere“ ist im Münster Verlag erschienen.